Nach seiner einjährigen Ausstellungsreise kehrt der Cranach-Triegel-Altar im Dezember 2023 wieder in den Westchor des Naumburger Doms zurück. Der Altar war von seiner Weihe im Juli 2022 bis zum Dezember 2022 dort aufgestellt, wurde danach bis Juni 2023 im Diözesanmuseum in Paderborn gezeigt und war zuletzt in Klosterneuburg bei Wien zu sehen. An beiden Stationen seiner Reise begeisterte das Kunstwerk die Besucher, wie es die Feedbacks beider Museen widerspiegeln.
Der Marienaltar im Diözesanmuseum Paderborn (Dezember 2022 bis Juni 2023)
Sehr gern hat das Diözesanmuseum Paderborn das viel diskutierte Cranach-Triegel-Retabel aus Naumburg vorübergehend aufgenommen. Den Museumsgästen ein derart außergewöhnliches Kunstwerk zweier großer Maler präsentieren zu können, hat den Aufwand von Transport, Auf- und Abbau gelohnt. Die Vielschichtigkeit der mit dem Retabel verbundenen Themen konnte bei Führungen und Vortragsveranstaltungen deutlich gemacht werden. Stand zunächst der Einspruch von ICOMOS Deutschland gegen die Aufstellung der Tafeln auf der Altarmensa im Naumburger Westchor im Vordergrund, so trat während der Ausstellung im Diözesanmuseum vermehrt auch der Aspekt von moderner zeitgenössischer Kunst im Kirchenraum hervor.
Besonders die Möglichkeit des unmittelbaren Vergleichs der Bilder von Lucas Cranach und Michael Triegel regte Besucherinnen und Besucher zu genauem Hinsehen an. Das Interesse galt den verschiedenen Materialien wie Farben und Bildträger, aber auch der Malweise und der Figurenauffassung. Sowohl bei Cranach als auch bei Triegel wirkte die bestechende Qualität ihrer Bildkompositionen sowie der dargestellten Personen unmittelbar faszinierend auf die Betrachter. Erfreulich waren die Besucherreaktionen nach Führungen, wenn als Erkenntnisgewinn der Blick für malerisches Können, wie etwa der Effekt von Plastizität oder die feine Unterscheidung von Oberflächen wie Samtstoff oder Haut, geschärft wurde.
Dass ein zeitgenössischer Künstler sich aus persönlicher Überzeugung dem christlichen Sujet einer Sacra conversazione widmet, hat das Publikum interessiert und angesprochen. Eine Abendveranstaltung mit Michael Triegel war mehr als ausgebucht. Den Menschen der Gegenwart auch gegenwärtige Bilder als Glaubenszeugnisse vor Augen zu stellen, fand vielfach Zustimmung und trifft ihr Bedürfnis, nach inspirierenden künstlerischen Artikulationen. Zu diesem Thema hat das Diözesanmuseum gemeinsam mit dem Bildungshaus Liborianum Paderborn den Studientag „Das Cranach-Triegel-Retabel und die Frage nach zeitgenössischer Kunst im Kirchenraum“ durchgeführt.
Elisabeth Maas (Erzbistum Paderborn)
Die Präsentation des Cranach-Triegel-Retabels war für das Diözesanmuseum Paderborn ein Besuchererfolg. Zitate aus dem Gästebuch belegen dies beispielhaft: „Einfach fantastisch, dieser Triegel-Altar! Große einfühlsame Kunst und Glaubensaussage!“ „Wegen Michael Triegel-Altar 270 km gefahren zu sein, hat sich gelohnt. Kunst im besten Sinne: Anregend, aufregend. Möge sie den rechten Platz erhalten.“
Der Marienaltar im Stift Klosterneuburg bei Wien (Juli 2023 bis November 2023)
Naumburg, wo ist denn das? Die meisten Menschen in Österreich können mit dem Namen dieser Stadt zunächst nicht viel anfangen. In kunstinteressierten Kreisen ist es nicht viel besser: Man hat schon davon gehört, da ist doch diese Kirche mit den Stifterfiguren, aber wo genau das liegt, keine Ahnung, irgendwo im Osten. Zumindest in Klosterneuburg hat sich das nach der mehrmonatigen Präsentation des Marienaltars geändert und viele haben sich vorgenommen, der Domstadt in Sachsen-Anhalt demnächst einen Besuch abzustatten.
Die erste überraschende Erkenntnis, die ich sehr schnell gewinnen konnte: Der Name Michael Triegel öffnet Türen, die sonst gerne mal verschlossen bleiben. In den Kreisen der Geistlichen ist das auf jeden Fall so. „Oh, wir können ein großes Werk von Michael Triegel ausstellen. Das ist ja eine einmalige Chance, die wir uns nicht entgehen lassen sollten.“ So war der einhellige Tenor von allen Chorherren, denen ich von diesem Projekt erzählte. Der Hinweis auf ein dafür notwendiges Sonderbudget wurde zuletzt von unserem Kämmerer mit dem souveränen Satz quittiert: „Das werden wir uns auch noch leisten können.“ Damit war klar: Triegel kann kommen. Wie aufwendig und technisch herausfordernd der Aufbau dieses Werkes tatsächlich ist, wurde mir erst bewusst, als Stahlträger, Gewichte und Sockelteile in scheinbar unbegrenzter Menge heraufgetragen wurden und der Portalkran aufgestellt wurde.
Dass der Marienaltar im Zusammenspiel mit der barocken Architektur des Marmorsaales und der Zimmerflucht des kaiserlichen Appartements hervorragend funktionieren wird, war mir von Anfang an klar. Die Tatsache, dass die Madonna des genau in der Mitte des Saales platzierten Altars Besucherinnen und Besuchern bereits durch die gesamte Raumfolge entgegenleuchtete und bei der Annäherung immer mehr an Präsenz und Ausdruck gewann, hat sich dann noch als zusätzliche Attraktion erwiesen, die in dieser Form nicht vorherzusehen war.
In den letzten Wochen und Monaten durfte ich zahlreiche Sonderführungen zum Altar halten. Spontan haben sich Gruppen zusammengefunden und Termine gebucht. Wo normalerweise eine Handvoll Leute aktiviert werden können, sah ich mich hier Gruppen von 18 bis 20 Personen gegenüber. Zudem diente der Triegel-Altar als perfekter „krönender“ Abschluss von Führungen durch unsere Jahresausstellung „Die guten Werke“.
Was allen sofort auffiel, auch Menschen, die sich nicht so intensiv mit Malerei beschäftigen, ist die souveräne technische Meisterschaft, besonders beeindruckend vorgeführt an den beiden Predellenbildern. Hier hat vor allem das zusammengeknüllte Leichentuch auf der Rückseite höchste Bewunderung hervorgerufen. Diese steigerte sich noch, wenn die ausgeklügelte Symbolik erläutert wurde, die in jedem Detail steckt. Zudem haben alle, die den Altar zu Gesicht bekommen haben, sofort gespürt, dass einem hier höchst lebendige Menschen entgegentreten. Der Hinweis auf Familienmitglieder, die dem Maler Modell gestanden haben oder beeindruckende Typen, denen er auf seinen Reisen begegnet ist, haben dies noch verfestigt. Die Petrus-Figur mit der Baseballkappe hat sich natürlich für die Erläuterung dieser künstlerischen Herangehensweise besonders gut geeignet, als unpassend hat sie niemand empfunden. Im Gegenteil: Das Heilsgeschehen geht jeden an, hier, heute, jetzt. Du kannst biblischen Figuren jeden Tag auf der Straße begegnen. Die Botschaft kommt an.
Das Zusammenspiel der alten Flügel mit dem neu gemalten Mittelteil wurde durchwegs bewundert und vom technischen Aspekt her ausführlich diskutiert. Wie hat er den Goldgrund gemacht, verglichen mit den Techniken, die Lucas Cranach zur Verfügung standen? Wie sieht das genau mit dem Malgrund aus? Das sind zwei der vielen Fragen, die gestellt wurden. Mangels technischer Detailkenntnis musste ich hier bei Führungen leider so manches unbeantwortet lassen. Die Tatsache, dass die Cranachschen Flügel in High-tech Klimavitrinen stecken, die nachträglich wieder mit den Holzleisten verkleidet werden um das Ganze wie einen großen hölzernen Retabel wirken zu lassen, konnte man leicht erklären. Der Überraschungseffekt war garantiert.
Eine bekannte Wiener Kunsthistorikerin, die auch selbst auf höchstem Niveau künstlerisch tätig ist, sagte mir: „Ich war ja eher skeptisch, als ich von der Sache gehört habe, bin nun aber schlicht und einfach begeistert. Bei dieser malerischen Qualität braucht man gar nicht weiter zu diskutieren.“
Kritische Stimmen gab es auch, sie waren so wenige, dass man sie sich besonders gut gemerkt hat.
Ganz vereinzelt fanden sich Besucher:innen, die sich, wohl auch unter dem Eindruck entsprechender Pressestimmen, in der Konfrontation mit den beiden Cranach-Flügeln eine dezidiert moderne Formensprache, expressionistisch, abstrakt oder konzeptuell, gewünscht hätten. Ja und in der jungen Generation werden Kunstwerke, seien sie aktuell oder Jahrhunderte alt, sofort auf ihre Wokeness abgeklopft. Meldung aus einer Gruppe von Studierenden: „Die Madonna ist blond und blauäugig. Ist ja wieder typisch – volles Klischee: die deutsche Jungfrau!“ Die junge Dame, die das angemerkt hat, war übrigens selbst blond – und sie hat nicht gesagt, wie sie es sich anders vorstellen könnte.
Wolfgang Christian Huber (Museum Stift Klosterneuburg)