Ein Altar begeistert, fasziniert und wird diskutiert

Der Marienaltar des Naumburger Doms entfaltet seine Wirkung im Marmorsaal des Stift Klosterneuburg bei Wien

Nachdem der Marienaltar des Naumburger Doms fünfeinhalb Monate im Diözesanmuseum in Paderborn zu sehen war, wurde er gestern im Marmorsaal des Stifts Klosterneuburg der Öffentlichkeit präsentiert.

„Ich bin fasziniert von der Wirkung des Altars in dem beeindruckenden Raum, er behauptet sich im Kaiserlichen Marmorsaal hervorragend und bindet sich gleichzeitig in die barocke Ausstattung des Raumes ein“, sagt der Stiftsdirektor der Vereinigten Domstifter, Dr. Holger Kunde. „Ich bin dem Kustos der Kunstsammlungen des Museums des Stifts, Wolfgang Christian Huber, unendlich dankbar, dass er sich dafür eingesetzt hat, den Altar in Klosterneuburg auszustellen. Nichtsdestotrotz zeigt sich auch hier, dass der Altar für den Westchor des Naumburger Doms geschaffen wurde und nach der Ausstellungsreise dorthin zurückkehren soll“, so Dr. Kunde weiter.

„Obwohl die Ausstellung zeitgenössischer Sakralkunst seit Jahren ein fixer Bestandteil der Museumsarbeit im Stift Klosterneuburg ist, war das Projekt Marienaltar für uns doch eine besondere Herausforderung – auf Grund der technischen Schwierigkeiten und des hohen künstlerischen Rangs des Werkes“, so Kustos Huber.

Wegen der Örtlichkeiten war der Aufbau des Marienaltar im Marmorsaal mit einer detaillierten Planung und Umsetzung verbunden, die die Restauratorin der Vereinigten Domstifter, Hannah Stahl, mit Helfern vor Ort bravourös meisterte.

Bis Dezember 2023 ist der Marienaltar im Stift für die Öffentlichkeit zugänglich.

Im vergangenen Jahr ergänzte das Anfang Juli 2022 geweihte Cranach-Triegel-Retabel auf dem Marienaltar im Westchor fünf Monate lang das spirituelle Bild des Naumburger Doms. Am 5. Dezember 2022 wurde es abgebaut, um im Rahmen einer temporären Reise an anderen Orten ausgestellt zu werden. Die erste Station war Paderborn vom 16. Dezember 2022 bis zum 12. Juni 2023. Über 10.000 Besucher kamen ins Diözesanmuseum, um dort den Altar zu bestaunen. Die zweite Station der Reise des Altars ist nun bis Dezember das Stift Klosterneuburg. In dem Zeitraum der Ausstellungsreise wollen die Vereinigten Domstifter weiter konstruktive Gespräche mit allen Beteiligten zum Schicksal des Altars im Naumburger Dom führen.

Hintergrundinformationen

Das Projekt „Triegel trifft Cranach“

Das in den ersten Anfängen seit Oktober 2019 von den Vereinigten Domstiftern initiierte und inhaltlich von der Evangelischen Kirchengemeinde Naumburg mitgetragene und von den Bischöfen der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands und des katholischen Bistums Magdeburgs lebhaft unterstützte Vorhaben hatte zum Ziel, die spirituelle Anziehungskraft des Naumburger Doms zu erhöhen und einen wichtigen Impuls für die Ökumene zu setzen. Das 1519 von Lucas Cranach d. Ä. für den Marienaltar im Westchor geschaffene Altarretabel wurde infolge eines gezielten Bildersturms seines Mittelteils mit der Darstellung Marias beraubt. Erhalten blieben die beiden Seitenflügel.

Durch den Leipziger Künstler Michael Triegel wurden eine neue Mitteltafel sowie zwei Predellen geschaffen, um das Retabel wieder liturgisch in den Dienst der Verkündigung zu stellen und ein Zeichen für die Überwindung der im 16. Jahrhundert entstandenen Kirchenspaltung zu setzen.

Die am 3. Juli 2022 erfolgte Wiederaufstellung des Retabels zählt gegenwärtig zu den intensiv diskutierten Vorhaben im Bereich der Denkmalpflege und der zeitgenössischen Kunst. Berührt doch das Projekt zentrale Fragen im Umgang mit dem kulturellen Erbe sowie den stetig wechselnden Bedürfnissen und Anforderungen der Gegenwart. Besondere Bedeutung gewinnt das Thema durch den 2018 erreichten Welterbe Status des Naumburger Doms, der nach Auffassung von ICOMOS, dem beratenden Gremium der UNESCO, durch die Aufstellung des Retabels gefährdet sei.

Wie gestaltet sich das Verhältnis von denkmalpflegerisch motivierten Vorgaben mit der kirchlichen Widmung von Sakralräumen und den daraus abzuleitenden liturgischen Nutzungen? Inwieweit kann ein mobiles und reversibles Ausstattungsstück wie ein Retabel tatsächlich den Welterbstatus gefährden, noch dazu, wenn dieses für den Sakralraum Westchor geschaffen worden ist?

Diese und weitere Fragen wurden am 24. November 2022 auf einem wissenschaftlichen Kolloquium vor dem Hintergrund des künftigen Schicksals des Naumburger Marienaltares aufgeworfen. Renommierte Experten aus Wissenschaft, Denkmalpflege, Kirche und Kultur kamen zusammen, um zu dem Thema „Kirchliche Nutzung und Denkmalpflege – ein Gegensatz?“ zu diskutieren.

Das Altarretabel von Lucas Cranach d. Ä.

Lucas Cranach d. Ä. (1427–1553) war einer der bedeutendsten deutschen Maler der Renaissance. Im Jahr 1519 vollendete er ein dreiflügeliges Altarretabel für den Altar des seit seiner Entstehung in der Mitte des 13. Jahrhunderts der Gottesmutter Maria geweihten Naumburger Westchors.

Das mit einer Darstellung der Gottesmutter Maria mit Kind versehene Mittelteil des Retabels wurde 1541 im Zuge der Auseinandersetzung in der Reformationszeit zerstört. Auf diese Weise verlor der Westchor seine Patronin.

Die großformatigen Seitenflügel des Retabels mit der porträthaften Darstellung der beiden Stifterbischöfe Johannes III. von Schönburg (1492–1517) und Philipp von Wittelsbach (1518–1542) und verschiedener Heiliger haben die Jahrhunderte überdauert und waren seit 2006 im Domschatzgewölbe des Naumburger Doms ausgestellt. Sie zeugen von der außergewöhnlichen Qualität des Werkes. Besonders die Darstellungen von Maria Magdalena und Jakobus d. Ä. ragen durch ihre feine Ausführung heraus. Den auf den Flügelinnen- und Außenseiten dargestellten Heiligen — Barbara, Katharina, Philippus, Jakobus d. Ä., Jakobus d. J. und Maria Magdalena — waren zuvor Nebenaltäre im Westchor geweiht, die Anfang des 16. Jahrhunderts abgebrochen worden sind. Auf diese Weise führt das Retabel die seit dem 13. Jahrhundert fassbare liturgische Tradition des Naumburger Westchors fort.

Die neue Mitteltafel und die Predella von Michael Triegel

Nach mehr als 500 Jahren wurden die beiden originalen Flügel von Cranach um ein vom Leipziger Künstler Michael Triegel geschaffenes Mittelteil sowie eine Predella ergänzt.

Auf der Vorderseite der neuen Mitteltafel ist eine „Sacra Conversazione“, d. h. Maria umgeben von Heiligen, dargestellt. Zentral präsentiert Maria den neugeborenen Heiland. Die dargestellten Persönlichkeiten können sowohl als im Naumburger Westchor verehrte Heilige oder auch als gegenwärtige Menschen interpretiert werden. Ergänzt wird die Gruppe um den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Die Personen verdeutlichen dem Betrachter, dass das Heilsgeschehen immer auch einen eigenen, persönlichen Bezug hat, der des Engagements des Einzelnen bedarf.

Auf der Rückseite der Mitteltafel ist der Auferstandene zu sehen. Er ist inmitten der Architektur des Naumburger Westchors dargestellt und verdeutlicht auf diese Weise, dass die Vollendung der Heilsgeschichte nicht in einem undefinierbaren zeitlich und räumlich entfernten Raum geschehen wird, sondern auch konkret und unmittelbar an diesem Ort möglich ist. Die Predella mit Vorder- und Rückseite verweist auf die Symbolik des Abendmahls bzw. auf die Passion zurück.

Der Künstler Michael Triegel

Michael Triegel wurde 1968 in Erfurt geboren und studierte von 1990 bis 1997 Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Arno Rink und Ulrich Hachulla. Internationale Bekanntheit erlangte Triegel 2010, als er den Auftrag erhielt, Papst Benedikt XVI. zu porträtieren. Zuvor waren bereits einige kirchliche Aufträge von ihm ausgeführt worden, so z.B. zwei großformatige Altarbilder für die Kirchen in Grave und Ebern und ein Deckengemälde für die Dommusik Würzburg. Es folgte 2011 der dritte Altar für die Kirche St. Augustinus in Dettelbach sowie 2015 die Ausgestaltung zweier Kirchenfenster für die Pfarrkirche St. Marien in Köthen. 2017 wurde sein Andachtsbild „Barmherziger Jesus“ in der Kirche St. Peter und Paul in Würzburg eingeweiht. 2018 folgte das Hochaltarbild „Menschwerdung“ für die Kirche St. Oswald in Baunach.

Bedeutende Personalausstellungen Triegels waren zuletzt in Leipzig („Logos und Bild“, 2017), Erfurt („Discordia concors“, 2018/19) und Rostock („Cur Deus“, 2020) zu sehen.

Das Stift Klosterneuburg

Historischer Überblick

Wenige Jahre nach der Verlegung ihrer Residenz nach Klosterneuburg gründeten 1114 der Babenberger Markgraf Leopold III. und seine Frau Agnes in unmittelbarer Nähe ihrer Burg das Stift als religiöses, soziales und kulturelles Zentrum ihres Landes. 1133 übergaben sie dieses Stift den Augustiner Chorherren.

Die Gründungslegende

Ein Windstoß entriss Agnes ihren Brautschleier. Die Suche blieb ergebnislos, worauf Leopold III. das Gelübde gab, dort wo der Schleier gefunden würde, ein Kloster zu errichten. Neun Jahre später fand Leopold den Schleier auf einem Hollunderstrauch und erfüllte sein Versprechen. Obwohl es sich dabei um eine spätere Legende handelt, gibt es den Schleier tatsächlich in der Schatzkammer des Stiftes, die seit Mai 2011 den Besuchern zugänglich ist.

1136 wurde die Stiftskirche geweiht, wenige Monate später, am 15. November 1136 starb Leopold III., der in einer kleinen Gruft unter der heutigen Leopoldikapelle begraben wurde, die sehr rasch zur Wallfahrtsstätte wurde. 1181 vollendete der Goldschmied Nikolaus aus der Stadt Verdun eine Kanzelverkleidung aus Emailtafeln, die an Hand von Ereignissen des Alten und Neuen Testaments die Heilsgeschichte erzählen. Nach dem verheerenden Stiftsbrand von 1330 wurden diese Emailtafeln zum „Verduner Altar“ umgestaltet, einem der bedeutendsten Kunstwerke des europäischen Mittelalters. Inzwischen war um 1200 Klosterneuburg auf einige Jahre wieder Residenz geworden: Babenberger Leopold VI. ließ sich auf dem heutigen Stiftsgelände einen neuen Palast mit einer prächtigen Kapelle, der „capella speciosa“, dem ersten gotischen Bau in Österreich, errichten. Von beiden Gebäuden sind heute nur noch spärliche Reste vorhanden.

Im Mittelalter war das Stift zu einer wichtigen wissenschaftlichen und theologischen Forschungsstätte geworden, wovon nicht zuletzt die über 1200 Handschriften der Stiftsbibliothek zeugen. Die Heiligsprechung des Stiftsgründers Leopold III. 1485 machte dann die Bedeutung des Stiftes in der kirchlichen Landschaft Österreichs deutlich, die nur durch die Reformationszeit unterbrochen wurde, als nur noch wenige Chorherren im Stift lebten, die in Vielem der Reformation nahestanden. Gleichzeitig erlosch das parallel zum Chorherrenstift eingerichtete Chorfrauenstift.

Mit der katholischen Gegenreformation gewann das Stift rasch wieder seine frühere Bedeutung zurück und wurde durch die Stiftung des österreichischen Erzherzogshutes als „heilige Krone des Landes“ 1616 zum Hüter dieser Insignie, die nur zur „Erbhuldigung“ vom Grab des Heiligen Leopold entfernt werden durfte. Wenige Jahre später begann im Inneren der romanischen Stiftsbasilika die Barockisierung, die durch den Türkenkrieg 1683 unterbrochen wurde: Das Wien belagernde Türkenheer schloss auch Klosterneuburg ein, wo die Verteidigung durch einen Chorherrn und einen Laienbruder organisiert worden war. Durch die erfolgreiche Verteidigung Klosterneuburgs wurde im September 1683 der Entsatz Wiens durch kaiserliche Truppen ermöglicht.

1730 entschloss sich der Habsburger Kaiser Karl VI. nach dem Vorbild des spanischen Escorial in Klosterneuburg eine Klosterresidenz zu errichten. Der Plan sah eine riesige Anlage mit neun Kuppeln und vier Höfen vor. Während der Bauarbeiten starb der Kaiser 1740 plötzlich. Seine Tochter und Nachfolgerin Maria Theresia wünschte – dem Zeitgeist entsprechend – den Ausbau des Schlosses Schönbrunn nach französischem Vorbild, im Stift war man froh, die gewaltigen Baukosten nicht weiter tragen zu müssen: Die Arbeiten wurden sofort eingestellt, gerade ein Achtel der Planung war realisiert worden. Erst 100 Jahre später wurde zumindest ein Hof, der Kaiserhof vollendet und somit ein Viertel des Planes ausgeführt.

Mit der Regierung Kaiser Josefs II. begann eine Zeit des Umbruchs: Die kaiserliche Kirchenpolitik bewirkte eine wesentliche Ausweitung der Pfarr-Seelsorge und des sozialen Engagements, die Revolution 1848 beendete die Grundherrschaft und verlangte damit eine Umstellung der Wirtschaft des Stiftes. Das Ende der Habsburgermonarchie 1918 bedeutete neuerliche Veränderungen und die darauffolgenden Jahre mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Spannungen, Konflikten und Katastrophen belasteten das Stift neuerlich.

Aber gerade in den 1920er Jahren kam vom Stift Klosterneuburg durch die Ideen des Chorherrn Pius Parsch eine kirchliche Reformbewegung in Gang, die weltweite Wirkung zeigte und ihre Bestätigung in den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils erfuhr: Durch die Rückbesinnung auf die Texte der Bibel und neue Formen der Liturgie – wie Verwendung der jeweiligen Landessprache und eines Volksaltars – wurde die Position der Gläubigen auf eine neue Ebene gerückt.

Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich 1938 begannen die neuen Machthaber sofort mit Maßnahmen gegen das Stift als national-österreichisches Symbol und christliche Einrichtung: Beschlagnahme von Räumlichkeiten, Enteignung von Pachtgründen und schließlich 1941 Aufhebung des Stiftes. Die Stiftsgebäude mit allen Sammlungen fielen an das Kunsthistorische Museum, alles Übrige wurde unter verschiedenen Institutionen aufgeteilt. Im April 1945 war die Wiedererrichtung des Stiftes eine der ersten Handlungen der neuen Regierung und das Stift Klosterneuburg wurde in der Folge zu einem der wichtigsten Faktoren des kirchlichen Wiederaufbaues.

Stift Klosterneuburg heute

Die Chorherren des Stiftes Klosterneuburg – derzeit ca. 45 – kommen aus Österreich, Deutschland, den USA, Polen, Norwegen, Vietnam und Rumänien. Sie beginnen ihr Leben im Stift mit der Einkleidungszeremonie, bei der sie ihren Ordensnamen erhalten. Darauf folgt das einjährige Noviziat, dann die „einfache Profess“, die den zukünftigen Chorherrn auf drei Jahre und schließlich die „ewige Profess“, die ihn auf Lebenszeit an das Stift bindet und von ihm dauernden Gehorsam, Armut und Keuschheit verlangt. Der Konvent ist – nach den Bestimmungen der Österreichischen Augustiner-ChorherrenKongregation – demokratisch organisiert, mit einem gewählten Propst und einem gleichfalls von den Chorherren gewählten Stiftsdechant an der Spitze. Ihnen zur Seite steht ein Kapitelrat aus gewählten und vom Propst bestimmten Mitgliedern.

Kulturelle und Touristische Bedeutung

Heute zählt das Stift Klosterneuburg, der Residenz des Markgrafen Leopold III., zu den bedeutendsten Reisezielen des Kulturtourismus in Niederösterreich: Der weltberühmte Verduner Altar gehört zu den absoluten Höhepunkten und die reichhaltigen Sammlungen des Stiftsmuseums und der Schatzkammer vereinen Kunstwerke vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Einzigartig ist der Gebäudekomplex aus Bauten von der Romanik über die Pracht des Barock bis zum Historismus und die weltweit einmalige barocke Baustelle der Sala terrena, die seit der Einstellung der Bauarbeiten 1740 unverändert blieb. Wechselnde Ausstellungen moderner Kunst wie z.B. die Galerie der Moderne und des St. Leopold Friedenspreises runden diesen Angebotsbereich ab. Zu einem wahren Publikumsmagnet haben sich die alle zwei Jahre stattfindenden Orchideenausstellungen – die größten ihrer Art in Österreich – im Konventgarten des Stiftes entwickelt.

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