Kolloquium: Neue Erkenntnisse zum Altarprojekt „Triegel trifft Cranach“

Am 24. November 2022 diskutierten in der Marienkirche am Dom mehr als 70 Teilnehmer mit renommierten Experten aus Wissenschaft, Denkmalpflege, Kirche und Kultur im Rahmen des Kolloquiums: „Kirchliche Nutzung und Denkmalpflege – ein Gegensatz?“ über das Triegel- Cranach-Retabel.

Die überaus spannende Tagung erbrachte zahlreiche neue Erkenntnisse und Einsichten, die lebhaft diskutiert wurden. Während Dombaumeisterin Prof. Hartkopf die nicht invasive und jederzeit reversible Aufstellung des Retabels vorstellte, erbrachten die Ausführungen von Dr. Markus Hörsch (Bamberg) hochinteressante Indizien zum ursprünglichen Altarblock im Westchor. Dr. Matthias Ludwig und Dr. Holger Kunde konnten anhand der im Domstiftsarchiv Naumburg erhaltenen Rechnungsbücher der Kirchenfabrik aus dem 15. und 16. Jahrhundert den Nachweis für den Standort des Marienaltars im Westchor des Naumburger Doms erbringen und auch die mit dem herausragenden Künstler Lukas Cranach verbundene Errichtung eines Marienretabels im frühen 16. Jahrhundert beweisen, der bis zum gezielten Bildersturm am 11.09.1541 dort gestanden hat. Dieser Sachverhalt ist für die Bewertung des „Triegel-Cranach-Projekts“ von höchster Bedeutung, da die Berufung der Vereinigten Domstifter auf die Charta von Venedig, in der unter anderem die Verankerung und Aufstellung von Objekten und Gemälden, die für einen bestimmten Raum geschaffen worden sind, ausdrücklich begrüßt, endgültig fundamentiert wird.

Vor dem Kolloquium fand eine Ökumenische Andacht im Westchor statt, in der auch die neue Beleuchtung des Altars begutachtet werden konnte. Das neue Lichtkonzept lässt den Altar mit den Stifterfiguren und den Fenstern zu einer beeindruckenden Einheit werden. So sprach auch der Berliner Kunsthistoriker, Prof. Dr. Horst Bredekamp, in seinem Vortrag unter anderem über den Brückenschlag zwischen der Aktualität und der Geschichte, die der Altar schaffe und dass dieser es vermag, die Chorfenster zum Leuchten zu bringen. Außerdem betonte er, dass es ein berückendes Beziehungsgefüge zwischen dem Lettner und dem Altar gäbe. Zum Konflikt der veränderten Sichtbeziehungen der Stifterfiguren durch das Aufstellen des Altarretabels ging er ausführlich ein und unterbreitete verschiedene Varianten, zur Minimierung desselben. In der daraus resultierenden Diskussion wurde vorgeschlagen, das Retabel im Sinne der liturgischen Zeiten zu wandeln, d.h., dass das geöffnete Retabel nur an festgelegten Tagen zu sehen wäre, während es ansonsten geschlossen bliebe, damit „das Figurentheater der Stifterfiguren“ (Horst Bredekamp) ungehindert wahrgenommen werden könne.

Regionalbischof Dr. Dr. h.c. Johann Schneider erinnerte in seinem Beitrag an die Weihe des Altars am 3. Juli 2022: „Beim Altarbild gab es eine öffentliche Einweihung in einem Gottesdienst“.  Er betonte weiter „dass er sich zum Altar bekenne und es kirchlich gesehen keine Entfernung des Altars geben darf“, wobei er jedoch die geplante temporäre  „Reise des Retabels“ davon ausnahm.

Zu Veränderungen und Ergänzungen und Entscheidungen im Kirchenraum sprach die einstige Dombaumeisterin des Kölner Domes, Prof. Dr. Barbara Schock-Werner, und stellte zwei Thesen auf: 1: „Jede Generation von Verantwortlichen, die Gemeinde und die Geistlichen haben das Recht, den liturgischen Raum nach ihren Vorstellungen zu verändern, wenn sie damit nicht in das Gebäude selbst eingreifen. Die nächste oder übernächste Generation muss dasselbe wieder nach ihren Ideen verändern können.“ Und 2: „Wenn man einen Sakralraum unter Denkmalschutz stellt oder ihm den Welterbe Status verleiht, muss man akzeptieren, dass sich das liturgische Zentrum immer wieder wandelt. Die Wiederaufstellung eines Altars kann weder den Denkmalwert des Gebäudes, noch seinen Welterbe Status gefährden.“

„Wir bedanken uns bei allen Vortragenden und Teilnehmern des Kolloquiums“ sagte die Dechantin der Vereinigten Domstifter, Prof. Dr. Karin von Welck, am Ende der Tagung, „es war ein lebendiger Austausch für eine lebendige Kirche und hat uns für die kommenden Diskussionen und Entscheidungen rund um den Altar wertvolle Anregungen gegeben“.

Das Marienretabel wird ab dem 5. Dezember 2022, wie mit dem Land Sachsen-Anhalt vereinbart, zunächst abgebaut, um auf eine temporäre Ausstellungsreise, die im nächsten Jahr im Diözesanmuseum in Paderborn beginnt, zu gehen.

Während dieser Zeit wollen die Vereinigten Domstifter weiter Gespräche mit allen Beteiligten zum Schicksal des Altars im Naumburger Dom führen. Die Dechantin, Prof. Dr. Karin von Welck, plädierte dabei, vom Konflikt weg hin zur Versöhnung zu kommen und mit den Denkmalschützern in einen konstruktiven Dialog zu treten.

In Kürze wollen Dr. Holger Kunde und Dr. Matthias Ludwig ihre Auswertung der Quellen zu dem Marienretabel im Westchor des Naumburger Doms online publizieren.

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